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Was wussten die Behörden des Freistaats oder was hätten sie wissen müssen?

Case-Update VI im Amtshaftungs-Fall Dr. Hingerl gegen den Freistaat Bayern: Erneute Beweisaufnahme am Oberlandesgericht München


News vom OLG Hingerl

Im Rechtsfall der Metzgerei Sieber, vertreten durch den Insolvenzverwalter Dr. Hingerl, gegen den Freistaat Bayern wegen einer rechtswidrigen Produktwarnung vor allen Produkten des Unternehmens, hatte zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) in dritter Instanz das Urteil des Oberlandesgerichts München (OLG) aufgehoben und das Verfahren an dieses zurückverwiesen.

Das OLG hatte in dem über die AEQUIFIN finanzierten Verfahren überwiegend zugunsten des Klägers geurteilt und eine Zwei-Drittel-Schuld des Freistaats an dem bei Sieber entstandenen Schaden dem Grunde nach festgestellt.

Der BGH urteilte hingegen, dass eine Haftung des Freistaats nur dann gegeben sei, wenn die Mitarbeiter der Lebensmittelkontrollbehörden wussten oder hätten wissen müssen, dass ein Teil der Sieber-Produkte in der Verpackung erhitzt (nachpasteurisiert) wurde und damit grundsätzlich nicht mit den Krankheitserregern Listerien belastet sein konnten. In diesem Fall wäre eine Warnung vor allen Produkten nicht zulässig gewesen. Das OLG habe versäumt, diesen Sachverhalt durch Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugen aufzuklären und müsse dies in einer erneuten Verhandlung nachholen.

In zwei Beweiserhebungsterminen am 22.5. und 30.7. wurden vom OLG nun zahlreiche Zeugen, sowohl Behördenvertreter als auch ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens, zu diesem Sachverhalt befragt.

Gleich zu Beginn der beiden Verhandlungstage hatten die drei OLG-Richterinnen eine Einschätzung abgegeben, die von den Klägern als kalte Dusche empfunden werden musste. Der Senat gehe davon aus, dass die Mitarbeiter des Unternehmens die Behörde auf die nachpasteurisierten Produkte hätten hinweisen müssen.

Nach der sehr gründlichen Befragung der Zeugen durch das Gericht scheint es jedoch schwer vorstellbar, dass die kontrollierenden Behörden angesichts einer Vielzahl angekündigter und unangekündigter Kontrollen keine Kenntnis davon hatten oder hätten haben müssen, dass Sieber in erheblichem Umfang nachpasteurisierte Produkte herstellte, die von einer Warnung hätten ausgenommen werden müssen.

Die ehemaligen Mitarbeiter der Metzgerei Sieber, darunter der Geschäftsführer, der kaufmännische Leiter, der Betriebsleiter und der Qualitätsmanagementbeauftragte, beschrieben detailliert und teilweise durch Vorlegen von Dokumenten die Praxis des Nachpasteurisierens im Unternehmen.

Demnach wurden jeden Tag verschiedenste Produkte in der Verpackung erhitzt. Saisonabhängig habe es sich um bis zu 30 Prozent der gesamten Produktion gehandelt, so der ehemalige kaufmännische Leiter des Unternehmens. Nachpasteurisiert wurden vor allem Produkte für den Einzelhandel, um bestimmte Mindesthaltbarkeitsdaten zu erreichen. Für diese Produkte gab es ausführliche Spezifikationen, die Bestandteil der Lieferverträge waren.

Die Ware wurde nach der Herstellung in der Verpackung und fertig etikettiert auf speziell für die Nachpasteurisierung konstruierte Wägen, sogenannte Hordenwägen, gelagert, die dann in speziellen Produktionsbereichen abgestellt wurden, bevor sie in die Erhitzung kamen. Es gab ca. 20 bis 30 dieser speziellen Hordenwägen, die auch für nichts anderes eingesetzt werden konnten. Dies sei nicht zu übersehen gewesen.

Um zu kontrollieren, ob die vorgeschriebenen Kerntemperaturen beim Erhitzen erreicht wurden, kamen spezielle Datenlogger zum Einsatz, die den Temperaturverlauf aufzeichneten. Die Daten wurden anschließend exportiert und gespeichert und standen den Lebensmittelkontrolleuren zur Verfügung. Ob diese die Daten auch gesichtet haben, konnte durch die Zeugenaussagen nicht eindeutig geklärt werden.

Die Produktionsverfahren einschließlich der Nachpasteurisierung wurden in speziellen Fließdiagrammen dokumentiert, den sogenannten HACCP-Protokollen. Strittig war zunächst, ob diese Protokolle auch den Behörden vorlagen. Dies konnte durch die Kläger durch entsprechende Aussagen und Dokumente nachgewiesen werden. Ein Behördenmitarbeiter der Regierung von Oberbayern bestätigte dies trotz anfänglicher „Erinnerungslücken“ nach Vorlage der Dokumente in seiner Aussage.

Die Urteilsverkündung wurde auf den 2. Oktober festgesetzt. Kläger und Beklagte haben bis zum 20.8. die Möglichkeit, die Beweise in einem Schriftsatz zu würden. Einen richterlichen Hinweis wollte der Senat trotz expliziter Nachfrage nicht geben.

Da das Gericht keinerlei Beweis hinsichtlich einer Schadenshöhe erhoben hat, ist damit zu rechnen, dass es nur dem Grunde nach über eine mögliche Haftung des Freistaats urteilen wird. Sollte das Urteil zugunsten des Klägers ausfallen, würde das Verfahren also zur Feststellung der Schadenshöhe an das Landgericht München zurückverwiesen.

AEQUIFIN/fbi, 7.8.2025

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